Merkwürdige Sterngucker und durstige Wasserflaschen
Sheila Crosby wartet ungeduldig im Hauptverwaltungsgebäude des Observatoriums auf dem Roque de los Muchachos, dem höchsten Berg auf La Palma, der drittkleinsten Insel der Kanaren, auf unsere Ankunft. Wir sind für elf Uhr morgens mit der englischen Fremdenführerin verabredet. Von Las Manchas im Süden bis zum höchsten Gipfel La Palmas sind es zirka 30 Kilometer. Der höchste Punkt der Insel erstreckt sich auf über 2400 Meter. Wir sind wegen der extremen Steigungen eineinhalb Stunden mit dem Auto unterwegs.

Seit mehreren Jahren führt Crosby Besucher durch die drittgrößte „Sternwarte“ der Welt. Größer sind nur die Observatorien in Chile und auf Hawai, um den nördlichen Sternenhimmel zu beobachten. Einfach sind die Führungen auf dem Roque nicht, denn es gilt, hochmoderne Technik möglichst unterhaltsam zu vermitteln. Für Crosby jedoch eine leichte Übung. Nach unserer Ankunft gibt die gelernte Software-Ingenieurin einen kurzen Exkurs in die Historie der kanarischen Sternenforschung. Danach eilen wir gemeinsam zu den anderen acht Besuchern, die in der Nähe des Magic Teleskops, unweit des Hubschrauberlandeplatzes, warten. Gigantisch ist es, das Magic Teleskop. Die Spiegel, die Strahlen reflektieren, sind wie Waben aneinander gefügt. Sie sind mehrere Zentimeter dick und mit Aluminium beschichtet.

Crosby gibt technische Details stolz preis: „Der Spiegel besteht aus 1000 Einzelspiegeln und er steht im Freien. Die einzelnen Spiegel sind jeweils einen halben, mal einen halben Meter groß. Der Gesamtspiegel hat Fläche von 240 Quadratmetern.“ Unbeeindruckt und routiniert erzählt Crosby von der Rotation der großen Kamera mit Fotozellen bei gleichzeitiger Drehung der riesigen Spiegelwand in der Nacht. Ein Besucher möchte wissen, wie die gigantischen Spiegel zum Gipfel hinauf transportiert werden. „Dann werden die Straßen abgesperrt. Doch zerbricht ein kostbarer Spiegel während des Transportes, muss niemand mit sieben Jahren Unglück rechnen. Wir brauchen dann nur einen neuen“, sagt Sheila Crosby und lacht.

Das Magic-Teleskop benötigt für seine Messungen absolute Dunkelheit. Die ist auf dem Roque gegeben, deshalb gab es für den Standort des Teleskops von der Europäischen Gemeinschaft auch den Zuschlag.

Auf La Palma gibt es keine Lichtverschmutzung. Hier herrschen ideale Bedingungen, denn unterhalb des Gipfels bildet sich regelmäßig Inversionsschichten, welche die trockenere Luft der Höhenlagen gegen die feuchtere Luft der unteren Zonen abgrenzen. Deshalb ist die Luft besonders klar. Um diese Bedingungen zu erhalten, hat die Regierung das ungewöhnliche „Himmelsgesetz“ (Ley del Cielo) zur Vermeidung der Lichtverschmutzung in Kraft gesetzt, extra für das Observatorium. Das ist weltweit einmalig. Das gelbe Licht der Straßenlaternen wurde durch spezielle orangenfarbene Natrium-Lampen, die zum Boden gerichtet sind, ersetzt. Auch Leuchtreklamen unterliegen seitdem strengen Kontrollen.
Crosby erzählt uns, dass an über 300 Tagen im Jahr die Sterne beobachtet werden können. Also optimale Bedingungen für Sternenforscher! 15 Teleskope stehen auf La Palmas höchstem Gipfel. Jedes Teleskop hat sein eigenes Team. Über 200 Arbeitsplätze wurden hier geschaffen: von der Putzfrau, der Büroangestellten, dem Techniker bis hin zum Wissenschaftler.
Tagsüber stehen die Teleskope still. Die Techniker prüfen die Gerätschaften auf Herz und Nieren. Wer erwartet hat, Wissenschaftler bei der Arbeit zu sehen, wird enttäuscht. Bei der wissenschaftlichen Arbeit geht es in erster Linie um Datentransfers. Der moderne Sternengucker wertet die Daten, welche die Computer von den Teleskopen auffangen und sammeln, aus. Die Regionalregierung möchte noch ein weiteres Teleskop auf den Berg holen – das „Thirty Meter Telescope“ (TMT) – ein Spiegelteleskop mit einem Durchmesser von 30 Metern. Es ist mit einer adaptiven Optik ausgestattet und soll eine zehnfach höhere Auflösung als das Hubble-Space-Teleskop haben. Ursprünglich sollte das Teleskop in Hawaii aufgestellt werden, aber dort regte sich Widerstand. Aber auch auf La Palma wird die mögliche Aufstellung des Teleskops kontrovers diskutiert. Doch nun weiter zu unserer Führung.
Die Fremdenführerin lässt während des Rundgangs den Blick in die Ferne schweifen, dort, wo noch weitere, riesige Teleskope stehen. Es folgt eine kurze Aufzählung dieser, immer abwechselnd in spanischer und englischer Sprache. Crosbys Augen bleiben beim benachbarten Galileo-Teleskop hängen. Dort, so die Fremdenführerin, arbeitet derzeit ihr Mann, ein lokaler Techniker. Diesen habe sie vor Jahren, als er noch beim Isaak-Newton-Team an deren Teleskop arbeitete, kennengelernt. Crosby kam 1990 auf die Insel. Damals führte sie ihre erste Gruppe durch das Observatorium. Ihr Ehemann habe ihr viele merkwürdige Dinge während seiner langjährigen Arbeit auf dem Berg erzählt. Halbvolle Wasserflaschen, die sich während der Autofahrt nach oben immer wieder aufblähten oder während der Fahrt nach unten wieder durstig zusammenzogen. Die Joghurtbecher habe er oben in der Kantine anfangs immer weggeschmissen, weil sich die Deckel nach außen gewölbt hatten. Kein schlechter Joghurt, sondern die Höhe und der Druck waren der Grund. Crosby grinst verschmitzt.
Schnell geht es weiter. Wir fahren im Autokonvoi zum größten und modernsten Nachtteleskop der Welt: dem Grand Telescopio Canarias, das 2007 in Betrieb genommen wurde. Beeindruckend ist schon allein die gigantische, stählerne Kuppel, hinter der sich das Teleskop verbirgt. Wir dürfen die „Heiligkeit“ betreten. Doch vorher heißt es: Helme auf, denn Sicherheit muss sein! Das Grand Telescopio Canarias sieht aus wie eine Riesenkrake.

Nur ein kleiner Spiegel in der Mitte der Kuppel lässt erahnen, dass es sich hier um ein Teleskop handelt. Das Gerät steht still, doch wir alle wollen mehr sehen. Ein Techniker lässt die Plattform, die Kuppel, zur Demonstration rotieren. Es ist laut, wir sind alle sehr beeindruckt. Es ist sehr kalt innerhalb der Kuppel. Sheila Crosby erzählt von den kälteunempfindlichen Kameras, die Höchstleistung bringen, wenn sie Fotos vom All schießen. Aber nicht so wie man das mit einer digitalen Kamera macht. Nach einem komplizierten Verfahren entstehen erst später Sternenbilder. Wir sind fasziniert, trotz vieler technischer Details. Fazit nach fast zwei Stunden Führung: ein Muss für jeden La-Palma-Urlauber! Sheila Crosby ist von ihrer Art her „very british“. Dank ihres britischen Humors werden selbst technische Details zum Hochgenuss. Crosby, inspiriert durch die Sterne, schreibt Bücher. Natürlich sind es Sciencefiction-Romane. Denn das ist bei der Arbeit da oben doch selbstverständlich.
Astro-Guide Sheila Crosby

Sie lebt schon mehrere Jahrzehnte auf der Insel und bietet auch privat Führungen an.
Führungen und Infos für Sternengucker
1985 wurde das Observatorium auf dem Roque de Muchachos eingeweiht. Über 20 Nationen arbeiteten seitdem an verschiedenen Projekten, darunter auch Deutschland. Besucher können sich in den Sommer- und Wintermonaten für Führungen anmelden. Sie sollten dies aber bereits von zu Hause aus, da die Führungen sehr begehrt sind und in kleineren Gruppen durchgeführt werden. Die Führungen sind zweisprachig (Englisch und Spanisch). Doch selbst, wer beide Sprachen nicht ausreichend beherrscht, wird beeindruckt sein.
Informationen unter http://www.iac.es
Nachtführungen sind nicht möglich, da der wissenschaftliche Betrieb nicht gestört werden darf. Hobby-Sternengucker können aber auf La Palma trotzdem in den Himmel schauen. Der ehemalige, schwedische Astronom Göran Hornisky, der zu den Pionieren der kanarischen Sternenforschung gehört, hat mit seiner Ehefrau eine kleine Pension in El Jesus, im Norden La Palmas. Dort bietet er Touristen nicht nur eine Unterkunft, sondern lässt sie auch durch seine Teleskope bei Nacht in den Sternenhimmel schauen.
Wissenswertes über La Palma
La Palma ist die drittkleinste Insel der Kanaren. Nur El Hierro und Gomera sind kleiner. Sie ist die nordwestlichste Insel des Archipels und hat eine Fläche von über 720 Quadratkilometern. Mehr als 80 000 Menschen leben auf der Insel. Die Landwirtschaft und der Tourismus sind die Haupteinnahmequellen der Insel.
1988 wurde ein Es gibt auf der Insel eine astronomischer Aussichtspunkte (Miradores astronómicos) gebaut, wo Besuchern die Welt der Sterne nähergebracht wird.
La Palma in Kürze
Um den Astrotourismus auf der Insel noch weiter auszubauen, wird unterhalb des Observatoriums ein Besucherzentrum gebaut, Das Gebäude steht schon einige Zeit, die Innenarbeiten sind noch nicht abgeschlossen. Das Zentrum soll noch 2020 eröffnen. Geplant sind ein Café und Restaurant, sanitäre Anlagen sowie ein Platz für Hobby-Astronomen.
