Ich liebe Stadtwanderungen. Zu Fuß lege ich oft Strecken von 10 bis 15 Kilometer zurück. Ich kann beim Gehen gut entspannen, komme auf neue Ideen und sehe wie die Stadt sich Tag für Tag verändert. Es wäre aber alles nochmal so schön, wenn man als Fußgänger mehr Freiräume in den Städten hätte. Man sollte dem Auto weniger Raum geben und die Moblität insgesamt nachhaltiger machen.
Während des mehrwöchigen Corona-Lockdowns war das gesellschaftliche Leben mehr oder weniger runtergefahren. Der Autoverkehr ruhte und die Autobahnen blieben leer. Ältere unter uns erinnerten sich da an autofreie Sonntage während der Ölkrise in den 70er Jahren, als Kinder auf der Fahrbahn spielten und Fahrräder statt Autos fuhren. Während des Corona-Lockdowns haben sich zwar die Fußgänger und Fahrradfahrer auf der Fahrbahn mehr ausbreiten können und auch viele Tiere ihr Revier Stück für Stück zurück erobern können, aber auf der Autobahn spazieren oder Fahrrad fahren konnte man natürlich trotzdem nicht.
Nach den Lockerungen sind nun wieder mehr Menschen unterwegs, aber immer weniger nutzen die öffentlichen Verkehrsmittel und fahren mit dem Auto. Das birgt weitere Herausforderungen im täglichen Kampf um die Moblität im öffentlichen Raum.
Kommunikativer Freiraum fehlt
In den letzten Jahren wurde der öffentliche Raum zunehmend vom Autoverkehr, Parkflächen, Shoppingmeilen und Gastronomie bestimmt. Es fehlt oft an Möglichkeiten, sich hinzusetzen, zum Beispiel zu einem Schwätzchen. Möchte man nicht unbedingt in ein Café einkehren, fehlen oft Bänke und überhaupt öffentliche Plätze, die genügend Raum für die Kommunikation mit anderen bieten. Im Kölner Stadtteil Ehrenfeld beispielsweise sieht man ganz gut, welche Bedeutung der fehlende öffentliche Raum hat. Hier treffen sich die Einwohner gerne draußen (man fühlt sich manchmal schon an Länder im Süden erinnert). Aber aus Mangel an Sitzgelegenheiten treffen sich die Leute zum Quatschen auf Spielplätzen, sitzen in Hauseingängen oder stehen an Ecken, um sich zu unterhalten. Viel öffentlicher Raum ist hier Parkraum und kein Ort für Austausch und Begegnung. Hier tobt der tägliche Kampf um den Freiraum des Einzelnen.
Tag des guten Lebens
Es war daher eigentlich kein Wunder, dass hier 2013 das Netzwerk Agora Köln den ersten Tag des guten Lebens veranstaltet hat. Und weil Ehrenfeld zu einem der größten Stadtvierteln Köln gehört, reichte dieser eine Tag nicht aus. Und so gab es im darauf folgenden Jahr wieder einen guten Tag für die Bürger Ehrenfelds und fünf Jahre später noch einen jenseits des (Ehrenfeld)gürtels. Dazwischen folgten die Veedel Sülz und Klettenberg, Deutz, Agnes- und Eigelsteinviertel und in diesem Jahr wäre der größte Stadtteil im rechtsrheinischen, Mülheim, dran gewesen. Wegen Corona wird der Tag 2021 nachgeholt.
Das Netzwerk Agora Köln fördert Nachbarschaftsinitiativen und will die Stadtentwicklung aktiv mitgestalten. In einem ausgewählten Stadtteilgebiet werden an einem Tag Straßen und Teile der Parkplätze für den Autoverkehr gesperrt. Dadurch entsteht mehr öffentlicher Raum für die Nachbarschaft, die kreative Entfaltung oder alternative Mobilität.
Das Wort Agora kommt aus dem griechischen (ageirein) und bedeutet Markt; als Mittelpunkt des öffentlichen Leben
Still-Leben Ruhrschnellweg
Etwas ähnliches gab es auch schon im Ruhrgebiet: ein Revier-Event für einen Tag:
Still-Leben Ruhrschnellweg A40. Als der Ruhrpott 2010 Kulturhauptstadt war, wurde die A40 zwischen Dortmund und Duisburg für den Autoverkehr gesperrt und damit zu einem öffentlichen Raum für kommunikative Begegnung und kreative Entfaltung.

Ich war dort auch zwischen Bochum und Dortmund mit Freunden unterwegs und es war ein echtes Erlebnis: Den ganzen Tag konnte man die Strecke, wo sich sonst die Autos drängen, zu Fuß oder mit dem Fahrrad erkunden. Auf der Fahrbahn gab es lange Strecken mit Biergarnituren, Die längste Tafel der Welt, außerdem jede Menge kulturelle und sportliche Darbietungen. Viele Vereine zeigten ihr Können und warben für sich. Es wurde musiziert, Kampfkunst gezeigt, Skat gekloppt und das Steigerlied geschmettert. ‚Stau auf der A40‘ hieß es an dem Tag zwar auch. Aber es stauten sich keine Blechlawinen, sondern Flaneure, Fahrradfahrer und Inlineskater. Drei Millionen Menschen waren insgesamt auf der Strecke unterwegs.
Radschnellwege
Inspiriert vom Erfolg des Still-Lebens Ruhrschnellwegs kam 2010 die Idee des Radschnellweges Ruhr entlang der A40 auf. 2015 wurde ein kleines Stück, ein sechs Kilometer langer Abschnitt, zwischen Mülheim an der Ruhr und Essen, fertig gestellt. Jetzt, zehn Jahre später, ist der Radschnellweg leider immer noch nicht fertig. Und die Straßen im Ruhrgebiet sehen teilweise katastrophal aus. Von den innerstädtischen Radwegen ganz zu Schweigen.
In Städten wie Hamburg oder Berlin wurde während des Lockdowns damit begonnen, sogenannte Pop-Up-Bike-Lanes einzurichten, die den Bikern mehr Raum geben. Im Moment ist in den Großstädten ein Trend zum Fahrradfahren zu erkennen. Das hat wahrscheinlich mit dem veränderten Freizeitverhalten in Corona-Zeiten zu tun. Das jetzt Sommer ist und es nicht sehr viel regnet, kommt hinzu. Diese zusätzlichen Fahrstreifen werden aber aller Voraussicht nach nur vorübergehend bleiben. Es ist ein Signal und ein Anfang. Aber für eine grundlegende Veränderung müsste im gesamten Städtebau etwas passieren.
Ein Stadtalptraum
Veranstaltungen wie das Still-Leben im Ruhrgebiet oder der Tag des guten Lebens, aber auch Aktionen der Zwischennutzung wie Urban-Gardening, helfen den Menschen in der Stadt sich den öffentlichen Raum zurückzuholen und ihn wieder zu einem Ort selbstbestimmten Handelns und Kommunizierens zu machen. Es müssen neue kreative Wege für eine lebenswerte Stadt entstehen. Zukunftsmodelle könnten autofreie Innenstädte durch eine Mautpflicht sein. Städte wie London und Madrid machen das bereits. Dafür muss natürlich der ÖPNV weiter ausgebaut werden. Und die Menschen bereit sein zu lernen, sich anders durch ihre Stadt zu bewegen: Mehr zu Fuß gehen, einkaufen mit Lastenrad. Wenn es durch eine gelungene Stadtplanung den Menschen leichter gemacht wird, ändert sich vielleicht etwas.
Um die unzähligen Paketzusteller von der Fahrbahn zu bekommen, wäre zudem ein zentraler Sammel- und Verteilort für die Paketzustellung denkbar. Dieses Modellprojekt der KoMoDo (Kooperative Nutzung von Mikro-Depots durch die Kurier-, Express-, Paket-Branche für den nachhaltigen Einsatz von Lastenrädern in Berlin), der sogenannte Lieferdienst 4.0, wird zur Zeit in Berlin ausprobiert: Die Sendungen der verschiedenen Paketzusteller werden gebündelt und per Lastenrad ausgeliefert.
Es ist höchste Zeit, Stadtentwicklung neu und für die Zukunft zu denken und öffentliche Flächen gerecht zu verteilen, damit das ökologische und soziale Klima uns nicht krank macht. Wir brauchen insgesamt mehr Lebensraum in der Stadt, mehr Austausch- und Auslauffläche, mehr Plätze, mehr Schleichwege und mehr Grün für das entspannte Stadtspazieren und -flanieren. Und großzügige Straßenräume für den Radverkehr. Das ist mein Stadttraum.

Der Baukulturbericht der Bundesstiftung widmet sich in diesem Jahr dem Schwerpunktthema Öffentlicher Raum und gibt eine gute Übersicht und weitere Informationen zum Thema.