Der Ballettstar, der aus den syrischen Trümmern kam

Die Vorhänge in den Tanztheatern sind schon seit Monaten geschlossen. Seit Corona können die Tanzkompanien nicht mehr auftreten. Und das tanzbegeisterte Publikum kann ihnen nicht mehr applaudieren. Den Tanzprofis wird viel abverlangt. Die Tanzausbildung  ist hart, eine angestrebte Karriere ist, wenn überhaupt, oft sehr kurz. Der öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter Arte zeigt eine ganze Reihe von Tanz- und Ballettfilmen. Besonders sehenswert:  Die 2019 mit einem Emmy prämierte Dokumentation „Dance or Die“ des niederländischen Filmemacher Roozbeh Kaboly. Sie zeigt die berührende Geschichte des jungen Syrers Ahmad Joudeh. Ein Tanztalent, das es mit viel Kraft und gegen alle Widerstände aus dem kriegszerstörten Syrien herausschafft und als gefeierter Ballettstar die Bühnen der Welt erobert. Ein junger Mann, der nur eins möchte: tanzen oder sterben. Der nur frei ist, wenn er tanzt. Da in der arabischen Welt der Balletttanz als unmännlich gilt, brachte er nicht nur seinen Vater gegen sich auf, sondern auch die Terroristen des „Islamischen Staates“. Sie drohten ihm mit dem Tode.

Vom Gesang zum Tanz

Joudeh wurde 1990 in Damaskus geboren. Er wuchs einige Jahre als Staatenloser in einem palästinensischen Flüchtlingslager auf. Da er ein guter Sänger war, verließ er mit acht Jahren das Lager, um auf eine Schulfeier zu singen. In der syrischen Hauptstadt sah er zum ersten Mal eine Ballettaufführung. Der Tanz ließ ihn von da an nicht mehr los. Und damit kam auch der Ärger: Der Vater sah die Familienehre in Gefahr. Er verprügelte ihn und verbrannte die Tanzkleidung. Joudeh gelang es dennoch, am „Higher Institute of Dramatic Arts“ in Damaskus zu studieren. 2016 lernte er den Journalisten Kaboly kennen, der eine Reportage über Joudeh drehte: beim Tanzen in den syrischen Ruinen, während einige Meter weiter die Granaten einschlugen. Ted Brandsen, der künstlerische Leiter des „Dutch National Ballet“, wurde auf ihn aufmerksam und holte ihn nach Amsterdam.

Fotos: Roozbeh Kaboly / Ahmad Joudeh

Mein Fazit: Ein Film, der berührt, der unter die Haut geht und an keiner Stelle sentimental wird. Auch nicht, als der Vater nach Jahren eine Aufführung des Sohnes besucht – und zum ersten Mal versteht, warum sein Sohn tanzen muss: mit Tränen und Stolz in den Augen. Joudeh engagiert sich auch jenseits des Amsterdamer Ballett-Ensembles.  Er unterstützt die SOS-Kinderdörfer. Diese Dokumentation ist ein Muss, nicht nur für Tanzbegeisterte!

Die Dokumentation „Dance or Die“ ist noch bis zum 2. April 2021 in der Arte-Mediathek abrufbar.

Ein weiterer Filmtipp: die Dokumentation „Graines d’Étoiles“

Die Regisseurin Françoise Marie begleitete fünf Jahre lang eine Gruppe von 12-jährigen, angehenden Tänzern und Tänzerinnen bei ihrer Ausbildung an der Pariser Oper. Die Dokumentation „Graines d’Étoiles“  (Die Tanzschüler der Pariser Oper) ist in sechs Folgen aufgeteilt. Der Film zeigt das Hoffen und Bangen der Schüler und deren Familien.

Die Regisseurin gibt Einblicke in den Alltag der Kinder und Jugendlichen, der geprägt ist von Schule und Tanz. Die angehenden Tänzer sehen sich als ausgewählte Athleten, die die Strapazen an ihren Körpern und 10-Stunden-Tage in Kauf nehmen, um mindestens einmal ein Solo tanzen zu dürfen. Die letzten beiden Folgen zeigen am Ende, wer es geschafft hat und wer nicht.

Mein Fazit: Der Film ist sehr gut gemacht. Es zeigt, wie diszipliniert jeder angehende Tänzer sein muss, um es am Ende auf die Bühnen der Welt zu schaffen. Als Zuschauer steht man vor der Frage, ob die Ausbildung als Tänzer wirklich erstrebenswert ist: Verletzungen, Disziplin, fehlende jugendliche Ausgelassenheit, Konkurrenz-Denken – und am Ende schaffen es nur wenige. Und es zeigt auch, dass nicht nur Können und Fleiß genügen, sondern auch die körperlichen Voraussetzungen stimmen müssen. Jugendliche, die zu groß werden oder zu schwer sind, kommen nicht mehr in die nächsten Klassen. Der Film zeigt die ganze Härte dieses Sports.  

So diszipliniert die Kinder beim Tanzen sind, so diszipliniert geben sie sich auch vor der Kamera. Am Ende äußert sich eine Tänzerin kritisch über die Frauenrolle in den Ballettstücken, die nicht mehr zeitgemäß ist. Kritik an die Institution wird nicht geübt.

Doch dass die Pariser Nationaloper nicht unantastbar ist, zeigt die Rassismusfrage, die mehrere Mitglieder des Balletts, des Chors und des Vereins der Opernfreunde im letzten Sommer erhoben.  Hier wird, wie auch an anderen Bühnen und in anderen Ballett-EnsembIes, eine weitere Aufarbeitung seitens der Pariser Nationaloper notwendig sein.

Die Dokumentation mit insgesamt 6 Folgen ist bis 29. Juni 2021 in der Arte-Mediathek abrufbar. 

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