Vielen von uns war der Sommer in diesem Jahr vielerorts zu kühl und zu nass. Jetzt ist er meteorologisch Ende August zu Ende gegangen, kalendarisch dauert er etwas länger. Wir alle hoffen noch auf einige schöne, warme Tage. Wer den Sommer noch weiter in die Länge ziehen möchte, für den haben wir zwei Lesetipps, in denen der Sommer thematisiert wird: Im „Sommerhaus am See“ von Thomas Harding geht es um eine Sommerresidenz in Berlin, die über 100 Jahre für fünf verschiedene Familien ein Sehnsuchts- aber auch Zufluchtsort war. Das Sommerhaus – es ist ein geschichtsträchtiger Ort – denn mit den politischen Veränderungen in Deutschland, zogen Familien ein- oder aus und veränderten nicht nur sich selbst im Laufe der Zeit, sondern auch die Gestalt des Hauses. In „Sommer der Träumer“ von Polly Samson reist die junge Engländerin Erica Hart mit ihrem angehenden Schriftsteller-Freund Jimmy nach Hydra, einer 65 Kilometer südwestlich von Athen entfernten Insel: ein Zufluchtsort für viele Aussteiger, Künstler, Vagabunden und Tagträumer in den 1960er Jahren. Erica flieht nicht nur vor den gesellschaftlichen Zwängen der damaligen Zeit; sie möchte auf der Insel auch die Freundin ihrer verstorbenen Mutter wiedersehen, sich selbst finden und ein anderes alternatives Leben kennenlernen.
Schmuckes Ferienhaus, Fuchs-Unterschlupf und Drogenhöhle

Anders als der etwas sperrige, deutsche Buchtitel vermuten lässt, ist dem englischen Autor Thomas Harding ein fesselndes Sachbuch gelungen, das sich liest wie ein historischer Roman. Darin ist das am idyllischen See von Groß Glienicke gelegene Holzhaus Mittelpunkt des Geschehens. Harding schreibt als Betroffener, denn es ist das Haus seiner Vorfahren, seine Familiengeschichte, um die es geht. Ungewöhnlich: Harding könnte seine Familiengeschichte, die sehr tragisch und spannend zugleich ist, auch einfach erzählen, aber er fokussiert sich auf dieses Sommerhaus. Bei ihm kommen die Zeitzeugen zu Wort, die den langsamen Verfall des geliebten Sommerhauses der Familie „Alexander“ beschreiben. Ob die Wollanks, die Alexanders, die Schultzes, Hartmanns, Fuhrmanns oder Kühnes: das Haus beherbergte jeden. Für die einen war es ein Ferienparadies, für die anderen ein Zufluchtsort. Das Buch beschreibt zugleich wichtige Stationen deutscher Geschichte: den Érsten Weltkrieg, Hitlers Machtübernahme, den Zweite Weltkrieg, die deutsche Kapitulation und die Besetzung der Bundesländer durch die Alliierten, den Bau der Mauer und die daraus resultierende „Zweistaatenlösung“ – und schließlich den Fall der Mauer und die Wiedervereinigung Deutschlands.
Flucht nach England
Hardings Familie, die Alexanders, waren wohlhabende, weltoffene Juden, die das Grundstück am Groß Glienicker See, in der Nähe von Berlin gelegen, in den 1920er Jahren erwarben und dort ein kleines Holzhaus errichteten. Hardings Urgroßvater Dr. Alfred Alexander praktizierte als angesehener Arzt in Berlin. Am Groß Glienicker See verbrachte die Familie regelmäßig die Sommer – eine schöne, unbeschwerte Zeit. Als die Nazis an die Macht kamen, flohen die Alexanders nach England. Der Ort Groß Glienicke veränderte sich, die Nazis hielten dort Einzug und bauten den für die Öffentlichkeit nicht zugängigen Flugplatz Berlin-Gatow. Das Holzhaus ließ die Familie über eine von ihr bevollmächtigte Rechtsanwaltskanzlei an den Berliner Operetten-Komponisten August Wilhelm Meisel unterverpachteten. Mit dem Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit durch die Nazis verloren die Alexanders ihr Eigentum. Mit Ende des Krieges nahmen die Sowjets Ostberlin und auch Groß Glienicke und Umgebung ein. Groß Glienicke wurde sozialistisch. Ein Grenzzaun am See trennte nun den Westen und den Osten Deutschlands. Es herrschte ein Wohnraummangel im Osten, deshalb zogen die Familien Fuhrmann und Kühne dauerhaft gemeinsam in das Holzhaus am See, das nun vom See abgeschnitten war. Die Kühnes haben insgesamt 40 Jahre im Sommerhaus gelebt, danach verfiel das Haus immer mehr. Es diente nach dem Mauerfall Füchsen, Trinkern und Drogenabhängigen als Unterschlupf. Harding und seine Familie kämpfen nun darum, dass das „Alexander-Haus“ ein Ort des Erinnerns wird.
Mein Fazit:
Dies ist ein tolles Buch von einem Autor, der weiß, wie man fesselnd schreibt. Er beschreibt lebendig und packend die Geschichte des Sommerhauses, das sich im Laufe der Jahrzehnte immer wieder verändert. Und er beschreibt außerdem sehr lebendig und spannend die Geschichten und Schicksale der einzelnen Familien, eingebunden in die deutsche Geschichte: Er erzählt von Verfolgung, Vertreibung, Entbehrungen und Verfall. Das „Wie-geht-es-weiter“ hat mich beim Lesen vorangetrieben und mich oft nicht losgelassen. Dieses Buch würde auch jeden Geschichtsunterricht in den deutschen Schulklassen sehr bereichern.
Thomas Harding: Sommerhaus am See. Fünf Familien und 100 Jahre deutsche Geschichte. dtv Verlag, München. 10. Auflage 2020.
Hydra, die Insel der Inspiration – für Aussteiger, Künstler und Freiheitssuchende

Der Roman „Sommer der Träumer“ handelt von einer jungen Gruppe von Aussteigern, Künstlern und Freiheitssuchenden, die aus unterschiedlichen Ländern kommen und auf der griechische Insel Hydra stranden. Die Autorin verlegt ihre Geschichte in die 1960er Jahre. Eine Zeit, in der junge Menschen gesellschaftlichen Zwängen unterlegen waren; es war eine Zeit des Wandels und des Aufbruchs. Musik, Kunst, Mode, Moral und Sexualität veränderten sich, angestoßen von der jungen Generation. Hydra war in den 1960er Jahren Inspirationsquelle und Lebenselixier für viele nationale und internationale Künstler. Und so fand sich viel Prominenz auf Hydra ein, um den lockeren und heiteren Lebensstil in sich aufzunehmen und sich inspirieren zu lassen. Henry Miller, Marc Chagall, Pablo Picasso, Maria Callas, Giorgos Seferiso oder Leonard Cohen verbrachten gerne ihre Zeit auf der Insel.
Zwischen Fiktion und Wirklichkeit
Und so spinnt Samson ihre Geschichte um den Musiker Leonhard Cohen, der hier seine damalige Liebe Marianne Ihlen kennenlernte und die Insel später immer wieder besuchte. Die Autorin hat gut recherchiert. Sie verwebt die realen Lebensgeschichten der Künstler Cohen und weiteren Akteuren der Künstlerkolonie mit den fiktiven Erlebnissen der jungen, englischen Protagonistin Erica Hart. In einer Rückblende lässt Samson ihre Akteurin zu Wort kommen. Die Protagonistin reist mit ihrem Freund Jimmy nach Hydra, um nach dem Tod der Mutter der bedrückenden Enge ihres Zuhauses zu entfliehen. Ihren Sehnsuchtsort scheint sie gefunden zu haben, als sie in die Künstlerkolonie auf Hydra auf die Freundin ihrer Mutter trifft. In dem Roman geht es um Liebe, Freundschaften, Beziehungskrisen und schmerzhafte Trennungen. Die Frau muss sich hier ihren Platz noch erkämpfen, will sie nicht nur Muse, Geliebte und Mutter sein. Trotz der Thematiken verliert der Roman nichts von seiner Leichtigkeit. Es wird gemeinsam gefeiert, gelacht, gearbeitet, gebadet oder zu Abend gegessen. Am Ende darf man darauf gespannt sein, welches Fazit Erica Hart am Ende dieses Sommers auf Hydra zieht.
Mein Fazit:
„Sommer der Träumer“ ist ein atmosphärisch dichter Roman, der das Leben und die Schönheit der Insel sehr gut einfängt und fast schon die Werbetrommel für die Insel als Reiseziel rührt. Die Insel, die unter Natur- und Denkmalschutz steht, und auf der neben Autos auch Satellitenschüsseln und Plastikstühle verboten sind, könnte auch mein Reiseziel für den nächsten Sommer werden. Zwar nimmt der Roman nur langsam an Fahrt auf, aber ich habe mich in dieser Geschichte trotzdem gerne treiben lassen. Zwischendurch gab es ein reges Treiben an Personenwechseln, ein Kommen und Gehen auf Hydra. Waren es Künstler oder einfach nur Reisende? Den Blick auf ihre Hauptpersonen hat die Autorin dennoch nie verloren. Dieses Buch ist auch als ein Liebesbekenntnis an die Insel „Hydra“ zu verstehen.
Polly Samson: Sommer der Träumer. Ullstein Verlag, Berlin. Deutsche Ausgabe 2021.