Eine fremde Kultur, ein fremdes Schicksal: Es ist nicht mehr fremd, wenn der nepalesische Filmemacher Ngima Gelu Sherpa die Kamera führt. Er erzählt in dem zwanzigminütigen Kurzfilm „nga’i nang“ (engl.: Home) seine Geschichte. Es ist seine Familie und sein sterbenskranker Vater, dem die Zuschauer im Film folgen. Der junge Sherpa, der in den europäischen Städten Lissabon, Edinburgh und Tallinn Filmregie und Produktion studierte und in Europa lebt, fliegt zurück nach Nepal, weil der Zustand seines krebskranken Vater sich verschlechtert hat. Die Fahrt zum nächsten Krankenhaus ist weit; viele Stunden sind sie unterwegs. Wir sind als Zuschauer dabei, wenn die Mutter darauf hofft, dass ein Heiler die Krankheit ihres Mannes lindert. Es folgt der Tod, des Vaters und die Trauerrituale. Der Filmemacher lässt uns dabei sein – ein bewegender Film.
Die Mischung macht´s
Bei den Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen wurden Filme aus sehr unterschiedlichen Genres zu Filmpaketen für die einzelnen Wettbewerbe geschnürt. Neben der autobiografischen Kurzdokumentation „nga’i nang“ (engl.: Home) überzeugte auch der fünfminütige, experimentelle Film von Paul Wenninger (ohne Text) aus Österreich. Im Film von Wenninger steht der Protagonist in der Mitte eines Raumes. Um ihn herum drehen sich die Wände wie im Zeitraffer. Im weiteren Verlauf werden die Drehungen immer schneller, Möbel fliegen durch das Bild. Der Film erinnert stark an Musikvideos aus den 80er Jahren.
Aber auch politische Kurzfilme waren auf dem Festival stark vertreten. Besonders herausragend fand ich die Kurzfilme „Covid Messages“ von John Smith aus Großbritannien und „Before the fall there was no fall. Episode 2: surfaces“ von Anna Dasović aus Bosnien/Niederlande. Smith`s zwanzigminütiger Film „Covid Messages“ hat die Pressekonferenzen des Premierminister Boris Johnson zu COVID-19 im Visier.

Der Regisseur zeigt das unfähige Handeln eines Premierministers und seiner Regierung, dem Virus durch den Einsatz von „Zaubersprüchen“ und Ritualen ein Ende zu bereiten. Smith überspitzt das Thema wunderbar mit trockenem, britischem Humor durch immer wiederkehrende Filmsequenzen und übergroße Überblendungen. Stark präsentierte sich auch die Arbeit der Regisseurin Anna Dasović. Sie lässt die Kamera über ein UN-Militärgelände in Srebrenica schwenken – 25 Jahre nach dem dortigen Genozid. Dasović stellt zeitgenössisches Filmmaterial neben Archivbilder der Vorbereitungsübungen des Militärs vor dem Truppeneinsatz Mitte der 1990er Jahre gegenüber. Sie versucht, herauszufinden, was niederländische Soldaten dort hinterlassen haben.
Attraktive Kurzfilme für das Heimkino
Das älteste Kurzfilmfestival der Welt ging auch in diesem Jahr coronabedingt wieder online an den Start. Nach der guten Bilanz im letzten Jahr hofften die Organisatoren, dass sich auch dieses Mal vom 1. bis zum 10. Mai viele Filminteressierte auf der Festivalplattform einloggen würden. Der Ticketverkauf blieb jedoch hinter den Erwartungen vom letzten Jahr zurück. Das ist schade, denn das Team um Festivalleiter Lars Henrik Gass hat aus der Vielzahl eingereichter und gesichteter Kurzfilme attraktive Filmpakete für das Heimkino geschnürt. „Wir durften nicht hoffen, den Überraschungserfolg des Vorjahres wiederholen zu können. Zurzeit besteht ein riesiges Angebot an Filmfestivals im Internet; gleichzeitig löst beim Publikum die Ermüdung die Neugier ab“, so Festivalleiter Lars Henrik Gass.
Dabeisein, aber eben nicht ganz
Insgesamt waren über 400 Filme aus 50 Ländern im Programm des Filmfestivals – also eine große Auswahl für Filmfreunde. Ich habe aufgrund meines schmalen Zeitfensters leider nur eine kleine Filmauswahl treffen können. Die Festivalplattform bot viele Möglichkeiten, sich die Zeit zwischen den Filmblöcken zu vertreiben: so zum Beispiel der Videoblog im „Kurzfilmtage-Channel“, mit täglich neuen Gesprächen und Filmen der Filmschaffenden oder der „Festival Channel“, wo einfach nur über Filme geredet wurde. Cineasten konnten im Filmarchiv schnuppern oder die Filmempfehlungen des Filmfestival-Teams ansehen.
Mein Fazit:
Ja, ich war mit dabei, aber nicht so ganz. „Festival-Feeling“ geht nur, wenn man wirklich vor Ort ist. Aber für die äußeren Umstände können natürlich die Macher und Macherinnen des Festivals nichts. Auch sie hätten sich ein Filmfestival ohne Pandemie gewünscht.
Die Filmauswahl und Vielfalt war wieder sehr groß und ausgewogen. Der Aufbau der Festivalplattform war für den Besucher einfach und verständlich. Das „Einschalten“ der Filme hat bei mir leider nicht immer online gut geklappt. Häufig wurde ich einfach „rausgeschmissen“.
Schön wäre gewesen, wenn die Zuschauer die Wettbewerbsfilme nicht nur in „Echtzeit“ hätten sehen können. Auch wenn der Film zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt wurde. Da kam, meiner Meinung nach, keine Festival-Atmosphäre auf. Dafür braucht es eine große Leinwand und den direkten Kontakt zu den Filmschaffenden. Das Schöne am Online-Medium ist ja gerade, dass man in der Regel flexibler Filme schauen kann. Insgesamt war das Filmfestival einmal wieder – bezogen auf die Vielfalt der ausgewählten Filme – sehr gelungen. Ich freue mich auf die nächsten Kurzfilmtage in Oberhausen – hoffentlich direkt vor Ort. Und dann können die Zuschauer wieder richtige Festival-Atmosphäre spüren.
Die Preisträger des Filmfestivals 2021
In acht Wettbewerben, drei davon neu, vergab die Festival-Jury Preise im Wert von knapp 52.000 Euro.
Der Hauptpreis der internationalen Jury ging an Filmemacher Su Zhong für seinen
Film „8‘28“.
Der große Preis der Stadt Oberhausen ging an die japanische Filmemacherin Yuri Muraoka für den Film „Toumei na watashi“.
Gewinner des deutschen Wettbewerbs wurde Adrian Figueroa mit seinem Film „Proll!“.
Alle weiteren Preisträger sind auf der Homepage des Filmfestivals zu finden: https://www.kurzfilmtage.de